Von Blumenthal nach Brasilien – Leben zwischen den Welten

Es ist mein Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, dass alle Menschen auf der Erde die gleichen Rechte haben.

Es ist mein Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, dass alle Menschen auf der Erde die gleichen Rechte haben.

Quelle: HGM-Journal 04/2011, Menschen aus dem Amt Molfsee
Journal des Handel umd Gewerbe Molfsee e.V., Journal für das Amt Molfsee

Christina Haverkamp setzt sich seit 20 Jahren für die Yanomami-Indianer ein – Leben zwischen den Welten.

In diesem Jahr feiert Christina Haverkamp ein besonderes Jubiläum. Seit 20 Jahren setzt sich die in Blumenthal im Amt Molfsee Lebende für die Yanomami-Indianer ein. Immer wieder hat sie in der Vergangenheit mit außergewöhnlichen Aktionen auf die bedrohliche Situation der Yanomami aufmerksam gemacht. So überquerte sie im Kolumbusjahr 1992 mit dem Menschenrechtler Rüdiger Nehberg auf einem selbst gebauten Bambusfloß den Atlantik.

Im Moment ist Trockenheit. Mehrere Monate im Jahr lebt Haverkamp mit ihnen, wird im Februar nächsten Jahres wieder vor Ort sein. Doch wenn im April die Regenzeit beginnt, nutzt die 52-Jährige die Gelegenheit, um in ihrer deutschen Heimat auf Vortragsreise zu gehen und Spenden für ihre Hilfsprojekte zu sammeln.

So auch vor kurzem in Bordesholm. Bei besten äußeren Bedingungen starteten rund 500 Gemeinschaftsschüler der Hans-Brüggemann-Schule auf der Vogelwiese zum traditionellen Lauf um den Bordesholmer See. Erstmals organisierte die Schule mit Lehrer Wulf Ohnsorge an der Spitze die Aktion als Sponsorenlauf: Die Fünf- bis Zehntklässler sammelten im Verwandten- und Bekanntenkreis Spendenzusagen für ein oder auch zwei der 5,2 Kilometer langen Laufrunden um den See. Die Spenden kommen einem Hospital für die Yanomami-Indianer zugute: Das noch weitgehend ursprünglich in den Regenwäldern von Venezuela und Brasilien lebende Volk ist seit Jahren in seiner Existenz bedroht. Neben den Schülern sowie mehreren Eltern und Lehrern lief auch Christina Haverkamp mit. Die Aktivistin aus Blumenthal, die sich seit über 20 Jahren für die Yanomamis einsetzt, informierte an einem Stand zu den Hintergründen der Hilfsaktion und übergab zwei Yanomami-Bögen und Pfeile an die besten Läufer. Insgesamt ist eine Spendensumme von ungefähr 3.000,- Euro zusammen gekommen.

Südamerikaurlaub verändert ihr Leben

Die Powerfrau mit den wachen Augen kann auf ein außergewöhnliches Leben zurückblicken. Als junge Lehramtsstudentin für Mathematik und Sport entschließt sich Christina Haverkamp eine einjährige Auszeit vom Uni-Stress zu nehmen. Sie will nach Südamerika. „Die Reise hat meinen Lebensweg verändert. Ich habe dort das erste Mal in meinem Leben wirkliche Armut gesehen“, berichtet sie.

Nach ihrer Auszeit kommt sie nach Deutschland zurück, um ihr Studium zu beenden. Im Anschluss entschießt sich Haverkamp, auf einem Segelschiff anzuheuern und dort mit auffälligen Jugendlichen sozialpädagogisch zu arbeiten.

Schon ein Jahr später zieht es sie nach Brasilien. Dort kommt sie in Kontakt mit Rüdiger Nehberg, der ihr von den Yanomami-Indianern erzählt. Bereits 1987 setzt sich der Menschenrechtsaktivist für die Yanomami ein. Sie sind eines der letzten noch ursprünglich lebenden Naturvölker dieser Erde. Seit drei Jahrzehnten wird ihre Existenz von Goldsuchern, Großgrundbesitzern, Minenkonzernen und der Holzindustrie bedroht. Durch den rücksichtslosen Raubbau an der einzigartigen Natur wird der Lebensraum der Indianer zerstört und Krankheiten wie Malaria werden eingeschleppt.

Expedition mit Rüdiger Nehberg

Als Christina Haverkamp Nehberg fragt, ob sie an seiner nächsten Expedition zu den Yanomami teilnehmen darf, stimmte er zu. 1990 bricht sie mit ihm zu den Indianern auf. Was sie dort erlebt, erschüttert sie: „Ich habe viele Yanomami sterben sehen, nur weil medizinische Hilfe fehlte.“ Sie empfindet eine tiefe Dankbarkeit, in Deutschland geboren zu sein, und sieht dieses Privileg als unbedingte Pflicht an, anderen Menschen in Not zu helfen. 1991 führt sie deshalb eine Frauenexpedition mit medizinischer Hilfe und finanzieller Unterstützung des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums durch. Es folgt 1992 eine Protestfahrt auf einem Bambusfloß mit Rüdiger Nehberg, vom Senegal über Brasilien und die Karibik bis hin zum Weißen Haus nach Washington. Hier protestieren die beiden Deutschen gegen den Völkermord und machen auf die Landrechte der Indianer in Nord- und Südamerika aufmerksam – mit überwältigender Resonanz in der Öffentlichkeit.

Seit diesen Anfängen ist Haverkamp unermüdlich im Einsatz und kämpft, oft unter Risiko für Leib und Leben, für das Überleben dieses Amazonasvolkes. Bewusst hat sie sich auf dieses nicht alltägliche Leben eingelassen: „Ich musste mich irgendwann entscheiden, ob ich Familie haben möchte oder meine Arbeit. Ich habe mich für meine Arbeit entschieden“,  erzählt die Jüngste von drei Geschwistern. Neben der Errichtung von mehreren Krankenstationen im Rahmen von Hilfe zur Selbsthilfe hat sie die Ausbildung von Yanomami zu Krankenpflegern aktiv unterstützt. Momentan bereitet sie den Bau einer neuen Krankenstation im Orinoko-Quellgebiet in Venezuela vor und engagiert sich für den Aufbau einer Yanomami-Schule.

„Harte Bohne“ lässt sich nicht weichkochen

Dabei ist es eine riesige Herausforderung, sich als Menschenrechtsaktivistin in einem fremden Land zu behaupten. „Es gibt immer wieder Probleme mit den Behörden oder Regierungsvertretern. Bei meinen Expeditionen ist das Militär die größte Gefahr. Ich wurde schon verhaftet und geschlagen. Das sollte mich einschüchtern. Das Militär will nicht, dass sich Menschen von außen für die Rechte der Indianer starkmachen.“ Auch sonst muss „Frau“ eine gewisse Härte und Robustheit mitbringen, wenn sie im Urwald überleben will. „Ich habe schon vier Mal Malaria gehabt, lag einmal im Koma. Auch das Wetter kann einem zu schaffen“, bekennt sie.

Die Yanomami sind Christina Haverkamp für ihren couragierten Einsatz unendlich dankbar. Wenn sie drei bis vier Monate im Jahr bei ihnen lebt und arbeitet, schläft sie in ihrer Hängematte gleich neben der Familie des Häuptlings. Die Yanomami haben die Frau aus Deutschland ins Herz geschlossen und ihr einen Spitznamen gegen. Sie nennen sie liebevoll „Cohiba“, das heißt „harte Bohne“, eine, die sich nicht weichkochen lässt.

Ihr Wunsch: Noch weitere 20 Jahre

Das Pendeln zwischen zwei Welten ist für Christina Haverkamp zur Normalität geworden. „Bin ich im Regenwald, liebe ich das einfache Leben und freue mich, ohne Telefon und Internet zu sein. Ebenso gern bin ich in Deutschland, halte Vorträge, genieße das kulturelle Angebot und treffe mich mit Freunden. Beide Seiten möchte ich nicht missen“, stellt sie fest. Mindestens noch zwanzig weitere Jahre will sie für „ihre“ Yanomami einsetzten – sofern die Gesundheit mitspielt. Was sie antreibt: „Es ist mein Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, dass alle Menschen auf der Erde die gleichen Rechte haben. Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn ich nur an mein eigenes, persönliches Glück dächte.“