Den weißen Mann fernhalten

Die Tageszeitung, 9. Juni 2008, Interview von Gerhard Dilger (Foto: AP)

Isoliert lebende Indianer schützt man, indem man sie unberührt lässt, sagt der Waldläufer Possuelo

[singlepic=328,200,150,,right]

taz: Herr Possuelo, Sie waren als Waldläufer jahrelang isoliert lebenden Urvölkern auf der Spur. Kann weltweite Aufmerksamkeit durch Fotos diesen Völkern helfen?

Sydney Possuelo: Es ist immer gut, zu verbreiten, dass es diese isolierten Völker gibt. Es handelt sich aber nicht um eine Entdeckung. Wir haben diese Indianer seit fast 20 Jahren im Blick – und immer gibt es Politiker, die das als Lüge bezeichnen. Von daher kommen diese Fotos zum richtigen Zeitpunkt.

Haben diese Völker eine Lebenschance?
In den letzten 500 Jahren hat sich kein einziges Indianervolk gut an die brasilianische Gesellschaft angepasst. Also ist es am besten, man lässt sie in Ruhe. Wir müssen ihr Land schützen, den weißen Mann davon fernhalten.

Wird diese Linie auch in den Nachbarstaaten befolgt?
Das fängt gerade an. Vor zweieinhalb Jahren gab es das erste Südamerika-Treffen über Urvölker. Wir haben den Regierungen gesagt, wie sie die indigenen Völker behandeln sollen. Aber es geht dabei nie nur um die Indianer als Menschen, sondern um ihre Gebiete und den Umweltschutz, das gehört zusammen.

Wie beurteilen Sie die Indianerpolitik von Präsident Lula?
Reden und Taten klaffen weit auseinander. Wie können wir von Peru den Schutz der Umwelt und der indigenen Völker verlangen, wenn wir selbst Amazonien mit enormen Tempo zerstören?

In Brasilien häuften sich zuletzt die Konflikte zwischen Indígenas und staatlichen Stellen. Woran liegt das?
Das sind alte Probleme, die nie gelöst wurden – etwa um das Indianerland Raposa Serra do Sol an der Grenze zu Guyana. Die Indianer werden nicht ernst genommen, alles wird ihnen aufgezwungen, notfalls mit Gewalt.

Ist der Widerstand der Indigenen gegen Staudämme Teil einer größeren Bewegung?
Eine starke Bewegung ist das nicht. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Indianer das überwinden können und ihre Interessen kollektiv verteidigen werden.

Was kann Druck auf die Regierung Lula bewirken?
Unter dieser Regierung werden wir nichts erreichen. Lula will Entwicklung um jeden Preis, mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun. Aber natürlich müssen wir weiter Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft, im Parlament leisten. Das Problem ist nur: Während wir debattieren, setzt die Regierung ihren Vormarsch auf Amazonien fort. Und Nichtregierungsorganisationen, die uns helfen, werden wieder offen angegriffen.

Sydney Possuelo, 68, ist ein Pionier der isolierten Indígenas, für die er eigene Abteilungen in der brasilianischen Indianerbehörde Funai gründete. Als Leiter machte er aus der korrupten Funai eine anerkannte Institution zum Schutz der Indianer. Die Fläche ihrer Schutzgebiete verdoppelte er. Possuelo werden sieben Erstkontakte mit unbekannten Indianervölkern zugeschrieben – zuletzt 1996 mit den Korubo (Foto). Seit er erkannte, das eingeschleppte Krankheiten für unberührte Völker tödlich sind, vertritt er ihre Isolation. Seine Arbeit machte ihn unbeliebt bei Holzfällern, Goldsuchern und bei Missionaren – wegen der Idee der Kontaktvermeidung – wie bei Präsident Lula, der ihn 2006 entließ, weil Possuelo öffentlich Kritik geübt hatte.